Mine Gümüstekin-Jaballah

Written by
Fabian Riemen

Mine Gümüstekin-Jaballah

Mine Gümüstekin-Jaballah

Der Fußball knallt draußen auf dem Hof, man hört die jubelnden Kinder auch drinnen. Wir sitzen im Wohnzimmer. An den Wänden: ein paar Bücherregale, ein Schrank, alles dezent eingerichtet. Neben dem Esstisch eine geschlossene Truhe, deren Beschläge an eine Schatzkiste erinnern. Nichts drängt sich hier auf. Nicht mal die über 20 Bilder, die allein in diesem Raum hängen und stehen – eines verdeckt sogar den Fernseher. „Das hat sich mein ältester Sohn ausgesucht. Er wird es mitnehmen, wenn er eines Tages auszieht.“ Mine Gümüstekin-Jaballah ist die Malerin der Bilder. Sie sitzt auf dem Sofa, sie ruht in sich, und sie lächelt. Vielleicht ist es dieses Lächeln, das auch in ihren Bildern steckt, weshalb sie sich nicht aufdrängen. Die meisten zeigen fotorealistische Ansichten von Wasserszenen. „Ich hab‘ schon immer Wasser geliebt, und ich hab schon immer Wasserbilder geliebt.“ Mit ihren Worten geht sie mit Bedacht um. Sie sucht den richtigen Begriff, der ihre Arbeit beschreibt: „Licht einzufangen – nein, einzufangen ist das falsche Wort, ich möchte gar kein Licht einfangen. Aber das wiederzugeben, was ich sehe – das Licht einer Laterne, von einem Auto oder eine Reflexion auf dem Wasser – das ist das, was mich wirklich fasziniert. Oder Licht, das durch Bäume scheint, durch Blätter.“

Mine Gümüstekin-Jaballah im Interview.

Als Kind in Hannover lag sie auf dem Boden und hat gezeichnet, bis ihr die Hand weh tat. Und auch heute gehört das Malen zu ihr. Zum einen sind es die fertigen Bilder, die Mine ausstellt, verkauft und verschenkt. Zum anderen ist es der Prozess des Malens, der für sie eine ganz persönliche Bedeutung hat: „Ich male jeden Tag. Es gibt nur wenige Phasen, in denen ich ein paar Wochen nicht male. Und in dieser Zeit habe ich das Gefühl, es staut sich in mir etwas. Es muss raus. Ich habe das Gefühl, so verarbeite ich die Dinge, die ich sehe. Ich wäre sehr viel gestresster und unglücklicher, wenn ich nicht malen würde.“

Sie zeigt auf eines der Bilder, es entstand in Kooperation mit einem Fotografen aus Hawaii. Sie stieß auf sein Bild, es gefiel ihr, und sie setzte sich mit ihm in Verbindung. Sie malt das Bild, „und ich konnte für einen Moment in Hawaii sein. Auch wenn man ein gutes Buch liest, dann ist man woanders. Bei einem Film kann man das auch, oder im Theater. Kunst ist das Schöne, Freude. Das Schöne im Leben.“

Sie wollte an die Kunsthochschule Braunschweig, doch ihr Weg nimmt andere Wendungen. In Braunschweig bezieht sie eine Altbauwohnung mit hohen Decken und beginnt, in einem Münzhandel zu arbeiten. Die Wände ihrer Wohnung füllen sich rasch mit ihren Bildern. Sie lernt Adel kennen, und sie ziehen nach Augsburg, wo Mine Kunstpädagogik studiert. Sie werden Eltern, und Mine malt. „Das gehört zu mir. Es ist ein Teil von mir, in den Bildern stecken meine Gedanken.“ Ihre Kinder malen mit, früher manchmal auch eher unerwartet: der Große wollte eines Tages mit einem Kumpel ein Bild von Mama vollenden. Mine und Adel besorgten ihnen eigene Staffeleien, sie malen manchmal mit ihr, manchmal allein. Der Älteste, Ibrahim, hat kürzlich mit einem seiner Bilder den Landespreis des Kreativwettbewerbs EUnited – Europa verbindet gewonnen. Mine malt im Wohnzimmer, in einer Ecke ist ihre Staffelei aufgebaut. Die Kinder geben ihr im Vorübergehen Feedback. „Sie sind meine ehrlichsten Kritiker.“

„Kunst ist für jeden frei: Jeder kann und sollte, wer will.“

Mine Gümüstekin-Jaballah

Die Faszination der Stadt Hof

An den Wänden der Wohnung finden sich neben abstrakten vor allem fotorealistische Bilder. Wie kommt sie zu all den Motiven? Vor allem durch Adel. Er ist Projektmanager für ein Hofer Unternehmen und unter anderem im Senegal und in Tunesien tätig. Von seinen Reisen schickt er Aufnahmen der Landschaften nach Hause. „Mittlerweile liefert er mir die meisten Grundlagen, die meisten Fotos.“ Sie bestellt sie gewissermaßen bei ihm: wie genau er fotografieren soll. Er war es auch, der den Weg nach Hof ebnete. Er hatte beruflich hier zu tun. „Ich hab´ noch zu ihm gesagt: Komm ja nie auf die Idee, dass wir nach Hof umziehen.“ Aber dann haben sie es eben doch gemacht. Mittlerweile arbeitet sie an der VHS, unter anderem gibt sie dort einen Kunstworkshop. Nach ein paar Jahren in der Stadt sagt Mine: „Ich kann mir gar nicht vorstellen, in der nächsten Zeit hier weg zu gehen. Ich finde, dass Hof eine besondere Stadt ist. Ich finde, dass Hof wie so ein kleiner von Berlin sein könnte. Berlin ist ja auch bekannt für sehr viel Buntes, für Kultur und Kunst. Jetzt haben wir ja auch noch mehr Zugewanderte, was ich persönlich sehr schön finde, es ist sehr bunt.“ Ihre erste Ausstellung in Hof hat sie bei der Hoftexplosion, und ist beeindruckt von der Fülle an Kunst und Kultur, die dort stattfindet. „Die Hoftexplosion – das zeigt, wie viel Hof zu bieten hat.“

In Hof findet sie auch Material für ihre Bilder: sie erzählt von den Ecken um den alten Busbahnhof mit den großen Bildern an den Häuserwänden, von ihren Ausflügen und deren besondere Momente: „Es sind Kleinigkeiten, wenn man spazieren geht, einfach zu sehen, wenn man an der Saale steht, wie das Wasser funkeln kann. Schöner als Edelsteine. Das ist tatsächlich das, was mich antreibt.“

Der Jüngste kommt rein, den Fußball ablegen. Er ist schon wieder an der Tür nach draußen, da fragt ihn Mine, ob er nicht eine Jacke anziehen wolle. Widerwillig holt er sich eine. Mine schüttelt den Kopf und lächelt dabei; so, wie sie auch lächelt, wenn sie von sich erzählt. Sie genießt den Trubel im Haus. Das findet man auch im Gespräch mit ihr: eine große Güte und Herzlichkeit.

Die Wohnung der Familie gleicht einer Galerie, in jedem Raum hängen Bilder der Künstlerin.

Was macht Kunst und Kultur mit den Menschen? „Ich glaube, dass Kunst neben der Rolle des Schönen eine Form von Freiheit ist, und Freiheit braucht, und Freiheit gibt. Und wenn die Demokratie die Freiheit bietet, dann kann sich die Kunst noch mehr entfalten.“

„Kunst und Kultur hat überall eine besondere Funktion. Wenn man zurückgeht, soweit es nur geht, und in jeder Gesellschaft, egal welche Regierungsform – selbst in Diktaturen und im Kriegszustand – immer spielt Kunst eine Rolle. Meine Bilder sind nicht sehr politisch. Es gibt aber ja nun auch Künstler, die sehr politisch sind. In einer Demokratie hat man erfahrungsgemäß eher die Chance, das zu sagen, was man möchte mit seiner Kunst.

Auf der anderen Seite ist Kunst ja etwas sehr Individuelles. Ich entscheide, wie mein Bild aussieht, und nicht das gesamte Volk. Es ist ein sehr schönes Zusammenspiel.“ Wer kann denn Kunst machen? Sie öffnet die Truhe, die aussieht wie ein Schatzkiste, und holt ihre Pinsel und Farben heraus. „Kunst ist für jeden frei: Jeder kann und sollte, wer will. Keiner kann sagen, das ist die hohe Kunst, und das nicht – nur wenn man bestimmte Richtlinien anlegt. Aber Kunst kann doch jeder schaffen, der möchte. Ich glaube nicht, dass man für Kunst Talent braucht.“



„In einer Demokratie hat man erfahrungsgemäß eher die Chance, das zu sagen, was man möchte mit seiner Kunst.“

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Familie Gümüstekin-Jaballah

Entdeckung der Schönheit

Ein Bild Im Wohnzimmer zeigt eine Straßenszene in Bizerta, Tunesien. Den größten Teil des Bildes füllen die Heckansichten von parkenden Autos. Mine Gümüstekin-Jaballahs Haltung zum Malen und Zeichnen könnte man möglicherweise mit einer Poetik der Aufmerksamkeit beschreiben. Indem sie genau hinsieht, sich Zeit beim Betrachten der Welt und ihrer scheinbar banalen Szenen wie der Straße in Bizerta gibt, wird sie zugleich achtsam für die Einzelheiten, Kleinigkeiten und Besonderheiten, die im großen Ganzen stecken. Ihre Wasserbilder laden geradezu ein, das Spiel der Gischt aus nächster Nähe zu untersuchen. Mine, was ist wichtig im Leben? „Es gibt so viel Schönheit zu entdecken und zu sehen. Kinder machen das: sie schauen sich Dinge so intensiv an. Das geht oft verloren. Und das hoffe ich, dass ich transportieren kann. Und wenn man offen ist – man muss ja nicht alles gut finden – aber wenn man offen ist, dann hat man so viele Möglichkeiten zu entdecken und zu erleben. Wenn man noch einen anderen Blickwinkel einnimmt, dann hat man so viel mehr gesehen. Das ist das, was ich mir wünschen würde: Dass wir Menschen offen sind, auch für die Dinge, die man noch nicht kennt, und die man normalerweise nicht gut finden würde. Vielleicht findet man es doch gut!“

Eine Straßenszene in Bizerta, Tunesien.

Als Ibrahim und sein Kumpel damals ihr Bild vollenden wollten, da hat sie die Kleckserei der beiden nicht übermalt. Sie hat sie eingebaut in ihr Bild. So ist das eben, wenn man offen ist für Dinge, die man normalerweise nicht gut finden würde, am Ende findet man sie vielleicht doch gut. Und kann die Schönheit darin sehen. 


„Die Hoftexplosion – das zeigt, wie viel Hof zu bieten hat.“

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